Klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik

Kurs: Klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik vom 17.02.2006
Referent: Dr. Seeher

Wer kennt sie nicht? Patienten mit unerklärlichen Zahnfrakturen und -lockerungen, empfindlichen Zahnhälsen und Schliff-Facetten bis hin zu massiven Abrasionen an Zähnen und prothetischen Versorgungen. Aber auch eine spontane und unersichtliche irreversible Pulpitis gehört zum Praxisalltag. Gründe für derartige Erscheinungen können immer auch Fehlfunktionen und Disharmonien des gesamten Kausystems sein. Genau hier setzt die klinische und instrumentelle Funktionsdiagnostik an.

Nur durch diese können ursächliche Myo-, Arthro- und Okklusopathien aufgedeckt und nach strukturierter Diagnostik zielgerichtet therapiert werden. So können weitere Pathologien und Folgeerscheinungen verhindert und beseitigt werden, postuliert in diesem Kurs der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und Therapie, Dr. Wolf-Dieter Seeher aus München. Denn es können nicht nur intraorale Beschwerden aus diesen Disharmonien von Okklusion, Kondylus und Kaumuskulatur entstehen. Bei einer nicht mehr artikulär und muskulär kompensierbaren Funktionseinschränkung kann dies schließlich sogar zu chronischen Gesichts-, Ohren-, Nacken- und Rückenschmerzen sowie zu Schwindel und Sensibilitätsstörungen führen.

Der Patient als Leidender muss in solchen Fällen immer ernst genommen werden. Für die anschließende Diagnostik und Therapie ist die funktionierende Interaktion von Arzt und Patient Grundvoraussetzung. Nur wenn hier die „Chemie“ stimmt, kann diese feine und sensible Arbeit erfolgreich durchgeführt werden. Das Verständnis und die Mitarbeit des Patienten ist dabei unabdingbar und gelingt nur unter der konsequenten und straffen Führung durch den Behandler. Auch die Schaffung eines interdisziplinären Netzwerks aus Rheumatologen, Radiologen, HNO-Ärzten sowie Neurologen, Orthopäden, Osteopathen und Physiotherapeuten sollte gewährleistet sein, um eine optimale konsiliarische Betreung sicher zu stellen.

Aber auf was ist nun vor allem bei einer Neueingliederung von Zahnersatz zu achten, um okklusale Störfaktoren erst gar nicht auftreten zu lassen? Der Referent zeigt, wie die korrekt abgeformten Modelle so in den Artikulator übertragen werden können, dass sie der realen Situation so nahe wie möglich kommen. Das richtige Anlegen des Gesichtsbogens wird anschaulich demonstriert und an dieser Stelle auch gleich mit einigen verkomplizierenden Ammenmärchen aufgeräumt. Durch den Gesichtsbogen wird die Neigung der Okklusionsebene festgelegt. Die Einstellung der richtigen Kondylenbahnneigung gelingt durch ein Protrusionsregistrat. Eine Axiographie kann eine möglichst große Annäherung an die natürliche Curvatur des Benettwinkels bewerkstelligen. Und sogar die Frontzahnführung kann mittels eines Axio-Quick-Rekorders korrekt eingestellt werden. Nur wenn alle diese Determinanten möglichst präzise in einen Arcon-Artikulator übertragen werden, der mit seinem Scharniergelenk die Anatomie des Kiefergelenks nachahmt, ist das höchste Maß an harmonischer Einfügung in das Gesamtsystem gegeben. Um schon bereits vorhandene zahnmedizinische Pathologien klassifizieren und anschließend zielgerichtet therapieren zu können, empfiehlt Dr. Seeher eine systematische Dokumentation mit Hilfe des favorisierten EDA-Bogens. Er erklärt außerdem, auf was bei der Anamnese, dem klinischen Funktionsstatus und der manuellen Kiefergelenksuntersuchung (Joint Play) geachtet werden sollte. Dabei geht er vor allem auf die in der Zahnmedizin oftmals stiefmütterlich abgehandelte Palpation ein und unterstreicht anschaulich die Wichtigkeit des manuellen Gefühls und der Sinneswahrnehmung durch Hören und Sehen. Wie kann man überhaupt die verschiedenen Muskeln relativ isoliert palpierbar machen? Wie kann das Knacken oder Reiben des Kiefergelenks interpretiert werden und welche Ursache kann dem zu Grunde liegen? Wann muss auf jeden Fall therapiert werden?

Der letzte Teil der Fortbildung widmet sich der funktionsdiagnostischen Königsdisziplin, dem Zentrik-Registrat. Das genaue und schrittweise Vorgehen bei dieser sanften und möglichst unverfälschten Informationsgewinnung wird hier an einem Probanden anschaulich demonstriert. Außerdem wird grundsätzlich diskutiert, wann und weshalb in Zentrik registriert wird und bei welchen Patienten die Übertragung der habituellen Interkuspidation ausreicht.

Dr. Seeher ruft in seinem Vortrag dazu auf, alle Informationskanäle zu öffnen, damit Fehlfunktionen nicht übersehen werden. Es geht darum, diese möglichst früh aufzuspüren und zu eliminieren. Nur so wird eine nachhaltige Zahnmedizin bis ins hohe Alter möglich und Radikaltherapien können der Vergangenheit angehören.

Autor: Johannes Löw