Mechanismen der Okklusion – Jay H. Levy

 

Levy: „Zahn komplexer als ein Raumschiff“

 

„Zähne können nicht nur so gut innerviert sein, um lediglich Schmerzen zu verursachen“! Für Jay H. Levy DDS muss es einen befriedigenderen Grund für diese außerordentlich hohe Sensibilität  geben. Das Innere des Tastorgans Zahn ist für ihn dabei komplexer als ein Raumschiff, dass er bis ins kleinste Detail ergründen will.

 

Faszination Okklusion

 

Nach dem Besuch eines Kurses von Peter Dawson wurde Levy klar, wie wenig er über Okklusion wusste. Er beendete daraufhin konsequent seine zahnärztliche Tätigkeit in New York und ist seitdem bestrebt alles über die Mechanismen der Okklusion zu ergründen. Er ging zurück in die Forschung und beschäftigte sich mit der Neurophysiologie der Zähne und des Kauorgans. Mittlerweile ist er Assistant Professor des „Department of Community Dentistry“ der Oregon University und arbeitet parallel in eigener Praxis in Portland. Beste Grundvoraussetzungen bietet Levy auch durch seine Vorbildung in den Ingenieurswissenschaften, die das Bindeglied zwischen Biologie und Mechanik darstellen. Seine große klinische Erfahrung runden diese theoretische Basis ab.

 

Jeder Zahn ein Tastorgan

 

Levy will die Okklusion als Ganzes sehen und verstehen. Die stetige Diskussion und Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist für ihn dabei zur Herzensangelegenheit geworden. Der Referent selber hat für sich ein ganz neues Verständnis für das stomatognathe System entwickelt. Für ihn ist jeder einzelne Zahn als höchst sensibles und taktiles Tastorgan zu sehen. Die unterschiedlichen Rezeptoren eines Zahns machen dabei eine große Bandbreite an Reizen spürbar. In seinen Forschungen zur Reizleitungsgeschwindigkeit und zentralen Verarbeitung führten hier besonders Vibrationen zu vermehrten Signalen. Bei diesen Versuchen konnte außerdem eine neurale Plastizität nachgewiesen werden. Das nervöse System kann sich also auch auf Grund einer Reizveränderung im Kauorgan neuronal adaptieren. Zähne ohne Antagonistenkontakt zeigten deswegen auch eine verminderte Reizreaktion im ZNS.

 

Sensoren im Zahninneren

 

Der Fokus liegt für ihn auf der intradentalen Mechanorezeption. Bei Zahnkontakt wird das Liquor im Zahninneren entsprechend bewegt wie in einem nassen Schwamm. Die Flüssigkeit umspült dabei die einzelnen Nervenfasern einer sensorischen Odontoblasteneinheit. Jeder Reiz führt so zu einer unterschiedlichen Liquorbewegung und damit zu einer abweichenden Reizantwort. Fehlt bei avitalen Zähnen die Pulpa samt Mechanorezeptoren ist die Sensibilität erheblich eingeschränkt. Häufige Frakturen von wurzelkanalbehandelten Zähnen führt der Referent deswegen auch auf das mangelnde Vermögen zurück, Kaukräfte kontrolliert dosieren zu können. Die optimale Kaueffizienz mit gerade dem benötigten Minimum an Kraft ist hier nicht mehr gegeben. Textur und Härte kann nicht mehr richtig bestimmt werden. Der Öffnungs- und Kieferentlastungsreflex ist bei diesen Zähnen nicht mehr vorhanden.

 

Tausende von Signalen

 

Eine enge Beziehung zwischen dem taktilen Potential der Zähne und dem Kauorgan liegt laut Levy auf der Hand. Jeder vitale Zahn kann einen Reflex generieren. Levys Ansicht: Es kommt zu einer sensomotorischen Integration von Zahnkontakten im ZNS. Die Zähne sind also wie viele hochauflösende Mikrophone. Diese koordinierten okklusalen Informationen werden über die entsprechenden Reizleitungen an das Gehirn weitergegeben. Nach zentraler Verschaltung fungieren die Muskeln des Kauorgans auf das motorische Signal hin als Lautsprecher. Jeder Zahnkontakt ist für ihn wie ein kleiner Schalter. Tausende von Signalen gehen von diesen aus. Störkontakte, aber auch zu viele und flächige Kontakte, können deswegen zu Verwirrung führen. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass alles im Kauapparat aufeinander abgestimmt ist. Okklusionsstörungen führen zu einer Reflexüberlappung. Das darauf folgende konfuse Signal vom ZNS und das entsprechend unkoordinierte Zusammenspiel von Kiefergelenk und Kaumuskulatur führt laut Levy zu einem unkontrollierten, unphysiologischen Missbrauch der Zähne. Langfristig machten sich diese Disharmonien intraoral mit Abrasionen, Frakturen und parodontalen Traumata bemerkbar.

 

Ziel: Ein sauberes dentales Signal

 

Unser stomatognathes System könne langfristig also nur geschützt werden, wenn wir bei all unseren zahnmedizinischen Bemühungen immer für ein sauberes dentales Signal sorgten. Dies könne grundsätzlich nur eine steile Führung mit wenigen horizontalen Kräften, viele gleichmäßige, punktförmige Kontakte und eine zentrische Kondylenposition bewerkstelligen.

Seien die okklusalen Signale gestört, müsse das ZNS deprogrammiert werden. Die Erinnerung an die pathologische habituelle Position müssten dabei gelöscht werden. Die zentrische Kondylenposition sollte in diesem Sinne mit Hilfe bimanueller Manipulation wiedergefunden werden. Das Ergebnis könne dann langfristig über eine Schienentherapie fixiert und durch das Entfernen von Früh- und Störkontakten sowie gegebenenfalls durch Rekonstruktion nachhaltig eingestellt werden.

 

Das Fazit

 

Levy brachte mit seinem engagierten Vortrag in englischer Sprache Licht in die vorherrschende „Occlusion-Confusion“ und ist damit ein grundlegendes Muss für jeden, der sich mit der Funktionstherapie beschäftigt.

 

Autor: Johannes Löw